Ligurien für drei Tage, das wird bestimmt ein Spaß, aber auch kein Spaziergang.
Meine Freunde Steffen, Marco und Tim haben zusammen mit mir ein Ritual etabliert, dass wir zusammen ein Mal im Jahr einen kleinen Fotourlaub machen. Einfach ohne Regeln in Bezug auf Essen und Schlaf intensivst unserer Passion der Landschaftsfotografie zu frönen. Geschlafen und Gegessen wird, wenn das Licht und das Wetter es uns diktieren.
So sind wir in diesem Jahr mit dem Kofferraum voll bis zur Befüllungsgrenze an die Ligurische Küste gefahren. In drei Tagen wollten wir an dem verlängerten Wochenende wieder zusammen viel Spaß haben und die Speicherkarten füllen, was uns beides mehr als gelang.
Früh am Freitag Morgen begaben wir uns auf den Asphalt in Richtung Schweiz um nach einigen Stunden guten Durchkommens vorm Gotthardtunnel festzusitzen- Zeitverlust. Auch wieder eine Gelegenheit die GoPro aufs Auto zu schnallen und ein paar lustige Videos zu sammeln.
Nachdem wir in einem großen Supermarkt nahe der Autobahn bei Serravalle unseren Proviant für den Abend zusammen gesucht hatten, was bei der Fülle an Käse, Schinken, Brot, Fisch etc einem Leben in einem Schlaraffenland gleicht und nicht ganz so schnell geht, fuhren wir an unser erstes Ziel, dem Monte Alpe.
Der Monte Alpe ist mit circa 870 m Höhe im Ligurischen Apennin eine besondere Adresse, hier oben ruht die Cappella Monte Alpe di Porale. Unser Plan war es, nachdem wir unsere Einkäufe zum Abendessen in Form von Salami, Käse, Schinken, Sardinen, Oliven, Brot, Rosato etc. gemacht hatten diese zu der Cappella hochzuschleppen, um dort oben gemütlich zu Essen, zu Fotografieren und zu schlafen. Nachdem wir also klatschnass oben ankamen und die 25 Minuten und 100 Höhenmeter hinter uns hatten, fingen wir auch schon an die ersten Fotos zu machen. Das Licht war jetzt nicht so wie gewünscht, aber die Landschaftsfotografie ist nun mal kein Wunschkonzert. Der Studiofotograf stellt seine Blitze auf und hat Licht, wir müssen warten, ob uns die Sonne beschenkt. Doch einige Fotos gelangen uns, während die Sonne sich hinter einem Band von Gewitterwolken versteckte. Immer mit einem Auge wachsam, nicht in die Atomkuhlfaden zu treten.
Nach dem Essen und einigen Langzeitbelichtungen zogen plötzlich Wolken auf und hüllten uns komplett in Nebel ein . In der Ferne beobachteten wir einige Gewitterwolken, die bis dato harmlos erschienen. Der Moment hatte keine Fotolicht für uns, von daher beschlossen wir uns mit dem Schlafsack in den Windschatten der Kapelle zu legen und zu warten, bis es aufklart. Schließlich wollten wie noch Nightshots mitnehmen und hier ober pennen. Wir hatten einen Lachflash nach dem Anderen. Marco legte sich im Schlafsack auf die Isomatte und schwupps, wie ein Stück nasser Kernseife lag er einige Meter weiter unten im Gras. Als gegen 23:00 Uhr dann die ersten Blitze am Himmel zuckten wurde es uns hier oben doch zu gefährlich. Wir liefen mit dem ganzen Geraffel wieder zurück zum Auto und beschlossen, anders als geplant dann doch nach Boccadasse bei Genua zu fahren und dort am Strand im Schlafsack zu nächtigen um dann den Sonnenaufgang mitzunehmen.
Die Jungs fragten mich noch “Raik, wie sieht es dort aus, kann man da am Strand pennen?” Da ich die Location nur virtuelle gesoutet hatte wusste ich das nicht. Eigentlich ist Boccadasse am Ende von Genua ein beliebter Punkt vieler Genuesen, um am Ende des Spazierganges am Meer entlang in diesem malerischen Ort zum Beispiel ein Eis zu essen.
So kamen wir gegen 0:30 Uhr dort an. Alles hell, Freitag Nacht, viele Menschen auf den Beinen, direkt an der lauten Uferstraße, kurzum, schlafen war hier nicht möglich. Was machen wir? Mein Vorschlag war, fahren wir die Küstenstraße in Richtung Süden zurück, irgendwo wird es einen ruhigen Platz geben. Es dauerte auch nicht lange und wir fanden einige Kilometer weiter an der Straße einen Platz, der machbar erschien. Einige Treppen runter bis zum Meer, dort war eine Art Ufermauer an denen am Tage die Menschen sich zum Sonnen hinlegen, das Meer rauschte circa zwei Meter tiefer an die Mauer. Marco und ich beschlossen uns hier auf die Isomatte zu legen, Tim und Steffen zogen das Auto vor. Es war den Umständen entsprechend relativ gemütlich hier.
Rings um uns krachte es schon am Himmel, ich machte kein Auge zu und beobachtete die ziehenden Wolken. Ein Blitz links, zwei Blitze rechts, puh, das wird nichts hier. Marco dämmerte nur so halb. Keine halbe Stunde später platschte es vom Himmel herunter, wir flüchteten ins Auto, an dem innen fast schon Kondenswasser die Scheiben herunter lief. Ein heftiger Gewitterschauer ging herunter, es blitzte wieder was es konnte. Im Auto waren gefühlte 40 Grad und null Sauerstoff. Ich blickte durch die müden Augenschlitze, geblendet in die fahl gelben Straßenlampen, ICH WILL SCHLAFEN!
Nachdem der Regen aufgehört hatte war an Hinlegen wegen der Nässe nicht zu denken. Was machen wir? Ok, fahren wir zurück nach Boccadasse und checken das mal, mit Rucksack und Stativ logischerweise! Jeder stöhnte schon beim Aufziehen des zwischen 8 und 13 Kilo schweren Rucksacks. Ich glaube, mit meiner Ausrüstung führte ich die Gewichtsklasse an.
Wir liefen runter zum Strand und wie entfesselt bauten wir auf, Yes, Gewitter umkreisten uns und wir fotografierten die Häuserkulisse mit den vom Gewitter erhellten Wolken. Ab und zu kam auch noch ein Blitz mit ins Foto, Jackpot.
Wie im Wachkoma mit vollautomatischem Auslösefinger sammelten wir einen Shot nach dem Anderen. Wir drehten uns um in Richtung Meer und von da hinten kam schon wieder die nächste Gewitterzelle. Ich habe noch nie gesehen, wie vom Horizont dreidimensional bis über mich hinweg Blitze wie Gasflammen durch die Wolkendecke zischten, spooky ey. Kurz meldete sich das Engelchen auf der linken Schulter und warnte mich, dass es hier ziemlich gefährlich aussieht. Das Teufelchen auf der rechten verpasste dem Engelchen einen Tritt und es ging weiter.
Irgendwann gegen 04:00 Uhr ließen die Blitze nach und wir machten ein schöpferische Pause unter einem Wellblechdach. Es folgte Beute Sichtung und der Versuch, auf einer Holzbank für 10 Minuten die Augen zuzumachen.
Keine halbe Stunde später fiel uns die zunehmende Morgendämmerung am Horizont auf und wir fotografierten von neuem. Ich verschwand nachdem ich die besten Fotos für mich hatte dann hinter den Häusern um an den Klippen rumzuturnen. Schon beim Scouten am PC von Boccadasse fielen mir die geriffelten Felsen auf, die in Richtung Süden laufen. Doch hoffentlich kommt man da auch hin. Klar doch! Dort hinter den Häusern war es wirklich möglich hinunter zu klettern. Kurzum hatte ich die Badehose und meine Taucherschuhe dabei, um mir an den scharfen Felsen nicht die Füße aufzuschneiden. Für die Badehose war ich dann doch zu faul und bin kurzerhand mit der Unterhose über die Felsen geklettert. Gefährlich am Morgen nach durchgemachter Nacht ohne Schlaf und so im Halbkoma
Die Felsen waren schööön glitschig und von oben kamen immer wieder Regentropfen herunter, während es am Horizont blitzte. Ich brauchte 2-3 Aufnahmen, bis die Belichtung passte.
Ich möchte nicht wissen, was mein Fotocrew dachte, als ich zurück kam, Kopfhörer auf, T-Shirt halb hoch geknotet, mit Rucksack, Taucherschuhe und die Unterhose an, Mongozombi oder so vermutlich
Irgendwann wurde das Licht nicht mehr fotogen und wir schlurften zurück zum Auto stöhnend die Treppen hoch. Kein Kaffee, keine Kohlenhydrate, drei übernächtigte Landschaftsfotografen, die aussahen, als wären sie auf dem letzten Drogentrip hängen geblieben krabbelten in das Auto, den Geruch da drin nahmen wir gar nicht mehr wahr. Unsere Rettung war dann eine Autobahnraststätte auf dem Weg nach Tellaro. Corno, Panino, Caffè, Hände waschen, ah, es kommt Leben in mich.
Gegen neun Uhr bauten wir in Tellaro unsere Zelte auf um sofort darin zu verschwinden und unter dem Donner der Gewitterzellen eine runde Stunde Schlaf zu tanken. Es tröpfelte noch, als wir aus den Zelten krabbelten und uns der Hunger in ein Restaurant trieb. Endlich, mein Lieblingsessen Fritto Misto ( frittierte Meeresfrüchte mit frischer Zitrone ) und davor ein Insalata Pulpo con Patate füllte die Energiespeicher wieder.
Nach dem Essen liefen wir an den geplanten Fotospot des Abends, die kleine Bucht von Tellaro. Bunte Häuser, die noch im grellen Mittagslicht von einigen wenigen Menschen umgeben waren, erkundeten wir um zu wissen, wie wir hier am Abend vorgehen werden.
Den Rest des Mittags verbrachten wir am Meer, schwimmend, dösend, Eis essend, herrlich. Die Pause tat gut!
Dann folgte der Abend des exzessiven Fotografierens. Ich kenne Tellaro schon seit meinem letzten Besuch hier im Herbst 2014. Es ist schon fast sträflich leichtsinnig, wie ich hier dieses kleine Juwel anpreise in der Aussicht, dass hier in Zukunft mehr Fotografen sein werden.
Doch was macht Tellaro in meinen Augen so besonders?
Der Ort ähnelt vielen Ligurischen Küstenorten, bunte Häuser, Boote in den Gassen, pittoresk und zum Glück noch nicht so überlaufen wie die Orte der Cinque Terre. Am Tage liegen hier etwa 10-20 Menschen am Ufer um sich zu Sonnen, und das im Sommer! Abends in den Gassen schlendern ein paar Touristen oder sitzen an den kleinen Tischen unten am Meer. Beschaulich, entspannt, gediegen.
Der Ort ist für nur einen Fotoabend zu ergiebig. Ruck zuck ist die Zeit rum und es ergeben sich immer wieder lohnende Motive. Und ich spreche jetzt für mich, der wie ein Scharfschütze einen Fotospot nach dem anderen auf die Karte setzt. Der Anfänger in der Fotografie oder jener, der hier das erste Mal hinkommt, wird schätze ich überfordert sein.
Wir waren hier circa 2 Stunden vor dem Sonnenuntergang, um entspannt zu schauen, welche Fotos möglich sind. Wir fingen an mit Langzeitbelichtungen, es folgten Fotos direkt am Wasser um die Dynamik der Wellen einzufangen. Vier Fotografen, wir waren uns nie im Weg oder im Bild, es ist Platz sich auszutoben. Irgendwann, als ich genug eingesammelt hatte lies mich das Licht nicht mehr los.
Ich setzte mich oben auf einen Felsen, von dort hat man einen schönen Blick die Küste entlang hinüber bis nach Portovenere. Die Sonne steckte hinter einer Wolke, das Meer schäumte und knallte mit einer mittelmeeruntypischen Wucht gegen die Felsen und verschlang meine Lieblingsleiter. Ja, ich habe eine Affinität zu Leitern, Stegen und Leuchttürmen!
Wie so oft hatte ich beim Fotografieren die Kopfhörer auf und kramte nach passender Mucke. Dire Straits und “Brothers in Arms” sollte es werden. Dadab dadaaaa, dadaadaaa und es krochen mir die Schauer über den Rücken um in einer Dauergänsehaut zu enden. Ich genoss es derart, wieder hier zu sitzen, das Meer zu beobachten, die Wellenplatscher über deren Schaumkronen die Sonne ein goldenes Glitzern ins Meer malte. Danke, dass ich am Leben bin, danke dass ich solche Freuden erleben darf.
Ich verweilte für drei, vier Lieder, bis ich mich wieder aufraffte, die Wellendynamik in einem Foto zu verewigen. Die Sonne verschwand, wir rochierten die Plätze und immer wieder ergaben sich dankbare Motive. Den Abschluss des Tages machten wir mit einer Stahlwollschleuder.
Die T-Shirts waren schweißgetränkt, die Objektive von Wasserspritzern benetzt und wir hatten Hunger. Es war zwischenzeitlich 21:30 Uhr und wir suchten was essbares. Die Lokale auf der Piazza waren voll, gemütlich noch eine Portion Pasta con Pesto e Fagolini als Betthupferl und gegen 23:30 Uhr lagen wir totmüde im Zelt.
Es ist hässlich, wenn viereinhalb Stunden später der Wecker klingelt. Soll ich echt raus, ich sollte! Wir saßen gegen kurz nach vier Uhr wieder im Auto in Richtung Portovenere. Genua schlief noch und Portovenere war menschenleer. Im müden Betäubungszustand schnauften wir die Stufen hinter der Chiesa di San Pietro hinauf, ich bog links ab, ich kenne dort ein Plateau mit guter Sicht, die Jungs wollten noch höher zu der alten Ruine. Das rhythmische Klopfen in meinem Kopf vom Kaffee- und Schlafentzug lief synchron mit dem Takt der Stufen. Endlich, Rucksack ab, kurz verschnaufen, checken wie das Licht ist und auch schon wieder aufbauen. Die Bucht lag im Blau des Morgens, nur erhellt von einem 7 Millionen Watt starken Strahler. Ein paar Fotos hier, rüber zur anderen Seit, ein paar Fotos da, ach ja ein Selfi wollte ich auch noch. Und schon war der Fotomorgen wieder wie im Zeitraffer verflogen.
Jungs ab zur Koffeeintanke! Es duftete zwischen den Gassen nach frisch Gebackenem und wir folgten der Nase. Unsere Rettung, die Bar ist auf. Es glaubt mir keiner, wie herrlich es ist, ein duftenden Cappuccino vor sich zu haben und daneben ein mit Marmelade gefülltes Brioche, der Tag erwacht, Lachmöven fliegen über uns.
Zurück am Zeltplatz brauche ich dringend noch ein halbe Stunde Schlaf, die Augen tanzen, der Kopf klopft, die Muskeln schmerzen. Noch schnell den Muff der Fototour vom Körper gewaschen, frische Klamotten an und gegen 11:00 Uhr sitzen wir im Auto und sind auf dem Weg nach Hause.
Es war anstrengend, wir sind ja nicht zum Spaß unterwegs , hatten endlose Lacher, die ganze Palette der Lichtstimmungen, super gegessen und viele schöne Fotos mit nach Hause gebracht.
Momente, die ich nie vergessen werde haben sich auf dem Datenträger hinter meinen Augen eingebrannt.
Danke Marco, danke Tim und danke Steffen für die drei geilen Tage!
Stefan Februar 13, 2019 - 11:37am
Sorry, bin spät dran. Hab’ den Artikel auf der Suche nach Bildern von Fotoreisen nach Sizilien gefunden und bewundere gerade die tollen Bilder!
Didier Dumoulin August 5, 2015 - 8:50am
Was gibt es Schöneres als solch tolle Reiseberichte zu lesen. Mich direkt Vorort versetzt zu fühlen und Zeile für Zeile mit einem teils fetten Grinsen im Gesicht zu lesen – nur, weil man genau weiss, wie es gewesen sein muss und die Gliederschmerzen praktisch spühren kann 🙂 !
Eigentlich hatte ich überlegt euch dieses Jahr vieleicht bei Zeit und Gelegenheit auf dem Verzasca Workshop zu begleiten, aber mit diesem Bericht treibst du mich in Gedanken und Lust wieder weiter in den Süden! Ob das gut fürs Geschäft ist ^^
Danke für die Impressionen und beste Grüsse aus dem Süden
Didier