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OKTOBER IM ENGADIN

Stazersee St.Moritz Engadin

Raus, endlich wieder raus. Ich möchte mich über meine fotografischen Freiheiten gerade in dieser, von der Corona Pandemie gebeutelten Zeit nicht all zu sehr beschweren. Doch nachdem ich den halben Sommer damit verbracht habe, meinen gebraucht gekauften Pickup-Camper von Wasserschäden zu befreien, ist es Balsam für meine unterfotografierte Seele, allein mit meinem Fotorucksack durch die Prärie zu ziehen. Der Plan heisst “Lärchen im Engadin”, per se ein guter Plan.

SCHNEE UND GOLDENE LÄRCHEN

Im Oktober, je nach Wetter und der damit verbundenen Kälte, je nach geografischer Höhe und je nachdem welchen Vodoo Mutter Natur in diesem Jahr zaubert, sollte das Zeitfenster für eine beginnende Verfärbung der Nadeln von Anfang bis Mitte Oktober sein. Genau die erste Woche im Oktober hatte ich ein passendes Zeitfenster, um mich ins Auto zu schwingen und gen Süden zu tuckern.

Woher kommt der ganze Schnee

Aber halt jetzt, von Schneefall war nicht die Rede!

Am Ersten Abend meiner Ankunft hier, nahe St. Moritz, sind die Wolken dicht und der Regen geht in dicke, nasse Schneeflocken über. Im Kopf hatte ich den Maloja-Pass. Dieses malerische Wollknäul aus Kurven in der Dämmerung zusammen mit Leuchtspuren, das möchte ich gerne auf meinem Sensor haben. Ich stelle meinen Camper ab, warte noch eine Stunde, aber das Wetter bessert sich nicht. Ok Raik, besser ein Foto das nicht optimal ist, als keines. Ich finde meinen Standpunkt recht schnell, das ist hier nicht schwer und bin mit fünf Händen dabei, den Rucksack zuzumachen, den Schnee von der Linse fernzuhalten, die Frontlinse von Tropfen zu befreien, den Auslöser zu bedienen und eine Alu-Filterdose über dem Objektiv als Schirm zu halten. Einige Minuten später fühlen die Hände nichts mehr und sind zu nass, um in die Handschuhe zu gleiten. Ich stelle fest, ich bin aus der Übung, habe schon lange kein Winter mehr gehabt.

Die Nacht bricht herein und ich verkrieche mich in meiner Kabine. Die Heizung tuckert, das Bier quallert in der Höhe über die Flasche. Noch schnell Daten sichern, Fotos ansehen und dann ab ins Bett.

Ich schrecke immer wieder von lauten Geräuschen hoch, fluutzzzzschhhhhfftt.

Malojapass Engadin, Tischer Wohnkabine im Winter, Schnee, Kälte
Viel Schnee ist in der Nacht gefallen

Der nasse Schnee rutsch von den umliegenden Bäumen und patscht auf den Boden. Mhm, ich sollte mein Auto umparken, mein Camper steht im Moment unter einer großen Tanne, das ist nicht so clever. Immer wieder schrecke ich in der Nacht hoch. Schnee rutscht über den Alkoven, die nassen Flocken knistern auf dem Aludach.

Der Morgen wird dann versöhnlich. Es ist trocken und eine unfassbare Karavane von Autos schlängelt sich den Pass hinauf. Meine Fotografenseele wird sanft massiert.

Malojapass Engadin
Malojapass Engadin – Autokarawane

Die nächsten beiden Tage verbringe ich viel mit dem Scouten von Locations.

Wo ist der Gletscher

Dazu zählt auch das Morteratschtal. Dick eigepackt und mit einer Kanne Tee bestückt trotte ich den Weg in Richtung des Gletschers. Die Motivklingel ist verstummt. Einige Lärchen leuchten vereinzelt in sanftem Gelb in einem Gewirr von Bäumen. Den Überblick zu behalten, einen schönen Platz, ein Ort der aus der Masse attraktiv heraussticht zu entdecken, fällt mir schwer. Ich komme dem Gletscher, der sich erschreckend weit zurück und weit nach oben zurückgezogen hat, näher. 

Morteratsch Engadin
Morteratsch Landschaft mit typischen Lärchen

Stop, weiterlaufen bringt nichts. Ich dampfe in meinem Lofotenparka und muss jetzt mal für einen Moment lüften. Es ist Zeit innezuhalten und gemütlich den Tee zu schlürfen und dabei ein paar Kekse zu knabbern. Ich beschließe den Rückweg anzutreten und mich dem Flussbett zu nähern. Aha, so wird ein Schuh draus, ich verstehe. Nach ein paar Klettereinlagen finde ich eine gute Möglichkeit. Das Wasser ist verdammt hoch und ich versuche in Gehmeditation mit dem Stativ, nebst montierter Kamera, verletzungsfrei über die Felsen zu eiern. Ein paar Bilder flutschen auf die Karte. Doch dann passiert mir etwas, was ich schon lange nicht mehr hatte. Der Filterhalter liegt plötzlich im Gletscherwasser, keine Ahnung, wie das passieren konnte. Irgendwie schaffe ich es, ihn noch zu greifen. Moment, da fehlt ja was. Genau, der Polfilter ist nun irgendwo in den Fluten verschwunden.

Morteratsch Engadin
Morteratsch Gletscherfluss

Ich trotte müde und abgeschlagen von der Schlepperei und dem Rumgeeiere auf den Felsen zurück zum Camper. Ich will nur noch etwas Essen. Irgendwann, kurz nach Neun, liege ich im Bett.

Spiegelnder Bergsee

Der neue Tag weckt mich kurz vor Sechs aus der unruhigen Nacht. Der Gletscherabfluss neben meiner Kabine ist laut. Das Auto wird kurz vom Eis befreit, danach tuckert mein D-MAX gediegen in Richtung des Stazer Sees. Ich nehme hier mein fotografisches Frühstück und der Mittag treibt mich  hoch zum Albuapass, weiter zu dem kleinen See im Tal.

Stazersee St.Moritz Engadin
Stazersee St.Moritz Engadin
Stazersee St.Moritz Engadin
Wolken verdecken die Berggipfel

Wenn das Wetter nicht mitspielt

Angekommen am Palpuognasee, welcher in den Albula-Alpen liegt. Wind peitscht von den Bergen herunter, an Fotografieren ist nicht zu denken. Ich ziehe es vor, den See abzulaufen und danach ein wenig Schlaf zu tanken.

Pünktlich am Ende meines Nappings verziehen sich die dichten Wolken und der Wind lässt nach. Gut, das Essen lassen wir jetzt, das muss warten! Ich mach ein paar Shots am See und verziehe mich nach erneutem Auffrischen des Windes zurück in die Kabine. Warmer Kaffee und ein gutes Stück Luxuskuchen aus einem Café in St. Moritz wärmen mich.

Palpuognasee Engadin
Palpuognasee mit Windstille

Einen Plan B gibt es immer

Irgendwie wird das an dem See hier nichts. Der dauerhafte Wind bläst meinen Plan weg, hier den Abend und die Nacht zu verbringen. Ich ziehe es vor, wieder hoch zum Pass zu fahren und abzuwarten. Dazu setze ich mich mit einem warmen Tee an den Rand des Tals und relaxe im kalten Wind. Aus dem Auto hole ich noch etwas trockenes Brot vom Sonntag. Warmer Tee und dieses Brot, mehr brauche ich nicht. Dabei schießt mir ein Musikvideo in den Kopf. Ich bin, gebe ich zu, Depeche Mode verseucht. Seit meinem 16. Lebensjahr ist diese Musik mit mir durch mein Leben gegangen. Es gab Höhen, es gab Tiefen. Nach jeder traurigen Minute schaffte es diese Musik, mich euphorisch zu machen und mich aufzumuntern. 

Aus diesem Grunde bewundere ich auch Anton Corbijn, den Bandfotografen. Er hat die Marke Depeche Mode in meinen Augen visuell perfekt geprägt.

Also zurück zu “Enjoy the Silence” Kennt Ihr das Video? Genau wie Dave Gahan, der Sänger, der über die kargen Berge mit seinem Klappstuhl und der königlichen Robe läuft, so fühle ich mich in diesem Moment. Alles ist unwichtig. Worte würden die Stille brechen.

Albulapass Engadin
Enjoy the Silence | Albulapass

Aus saften Farben taucht die winterliche Landschaft in die Farblosigkeit ab.

Hinter dem Stativ stehend, vor Freude mit Gänsehaut und feuchten Augen, läuft selbige Musik auf meinen Kopfhörern. Einklang von Landschaft, Licht und Musik.

Albulapass Engadin
Monochrom – Albulapass Engadin

Die Nacht hier oben auf 2300m wird kalt, sie wird windig und die Kabine schwingt im Wind. Immer wieder werfe ich einen Blick aus den Fenstern. Wie sie sehen, sehen sie nichts. Es ist stark bewölkt, das Schneetreiben und Pfeifen des Windes schicken mich unter die Bettdecke. Am frühen Morgen reisst dann für zehn Minuten der Himmel auf. Im Osten kämpft sich ein leichter Schimmer der Dämmerung über die Berge, während der Vollmond  fast senkrecht durch die Wolken leuchtet.

Albulapass Engadin
Albulapass im Morgengrauen

Danach kommt der Schnee wieder horizontal und eine Fahrzeugseite ist eingeschneit. Währen mein Kaffee kocht beobachte ich, wie der Schneepflug die Passstraße hochratzt. Den Rhythmus der Räumaktion merke ich mir, um beim nächsten Besuch des Pflugs mich auf die halbwegs geräumte Piste traue. Erstaunlich, wie fett das Auto liegt. Da rutscht nichts, da zuckt nichts, stabiles, solides Fahrverhalten. Immerhin schieben sich da runde drei Tonnen über die verschneite Fahrbahndecke durch die Spitzkehren.

Auf 3000m ist die Luft dünn

Heute gönne ich mir eine Nacht auf der Diavolezza. Das Engadin ist rätoromanischer Sprachraum. So bedeutet Diavolezza “Teufelin”. Im Italienischen ist il Diavolo der Teufel. 

Also will ich mich, frei nach Faust, mit selbigem einlassen. 

Die Dimensionen der Landschaft, die Größenverhältnisse muss ich erst einmal verstehen. Es liegt viel Schnee auf den Bergen, weit unten, am Gletscher sind Ameisen zu sehen. Sie laufen im Gänsemarsch über die Eisfelder. Es sind Wanderer, die erst durch den Bezug ihrer bekannten Größe zur Umwelt, die ungefähre Dimension in meinen Verstand übersetzen.

Diavolezza Engadin Gletscher
Das Gletscherband wird vom Schnee versteckt

Noch nie bin ich auf einer solchen Höhe gewesen. Knappe 3000m über dem Meeresspiegel lassen mich beim Scouten im Schnee schaufen. Ein ruhiges Zimmer mit einer warmen Dusche und ein paar Stunden zum Ausruhen, bevor das harte Licht schwindet, ist genau das, was ich jetzt brauche.

Mit Spikes besohlt erklimme ich eine Anhöhe und warte auf das Licht.

Eine unfassbare Stille umringt mich, alles ist so blau. Ich beobachte, wie die großen Schatten der Berge durch die tiefer sinkende Sonne, wie Monster langsam das Licht an den Felswänden wegfressen.

Diavolezza Engadin
Blaue Schatten an den Felswänden

Ein paar Fotos später laufe ich wieder runter. Die Schleierwolken dämpfen den Kontrast und ich komme an eine Stelle, an der gefrorene Schneeverwehungen wie Perlmutt glänzen. 

Eis an der Diavolezza im Oktober
Der Schnee schimmert im tiefen Licht

Nach dem Sonnenuntergang ist Zeit für ein Abendessen. Währenddessen sitze ich am Panoramafenster und beobachte ständig, die sich verändernden Farben um Gewehr bei Fuß im Notfall schnell raus auf die Terrasse zu springen. Der letzte Schluck Merlot ist aus dem Glas verschwunden und schon schultere ich wieder den Rucksack. Die Nacht ist klar, kalt und windstill.

In vollkommener Einsamkeit ziehe ich wieder raus an die Kanten der Felsen und mache voller Freude meine Fotos. Die Milchstraße wird leider zum Teil von der Lichtverschmutzung hinter den Bergen überdeckt. Der mondäne Lichterglanz von St. Moritz strahlt leider in den Nachthimmel.

Diavolezza Engadin
Diavolezza Engadin

Sechs Tage im Engadin enden mit der Fahrt der Seilbahn in die Talstation.

Die letzte Nacht war mies. Ich habe, bedingt durch die Höhe, schlecht und unruhig geschlafen. Am Morgen bin ich total müde, verplant und vergesse im Zimmer meine Klamotten. Den Zimmerschlüssel packe ich wieder ein und merke es erst vor der Abfahrt. Mit jedem Meter, den die Seilbahn an Höhe verliert, fühle ich mich wohler.

Habt Ihr Lust bekommen, das Engadin zu bereisen und mit mir gemeinsam vor Ort zu lernen, wie ich zu diesen Fotos komme? Ich werde in 2021 einen Workshop im Engadin durchführen. Für mehr Infos dazu schaut doch hier rein

1 Comment

  • Michael Schütze Dezember 8, 2020 - 3:44pm

    Ein schöner Bericht mit tollen Bildern der auch die Mühsal dahin zu kommen nicht auslässt.

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